Text

Die größten Kostbarkeiten liegen einfach auf der Straße herum. Die prima materia, jener Stoff, aus dem Alchemisten einst Gold machen wollten, sie ist alten Überlieferungen nach im Dreck zu finden. Andere Quellen behaupten gar, sie sei für jedermann im Alltäglichen sichtbar, und dennoch sei sie nicht zu erkennen. Für Christina Paetsch besteht der kostbare Stoff ihrer künstlerischen Welt offensichtlich aus alten Kunststoffperlen, aus Stofftexturen oder aus ausgedienten Spielzeugteilen. Mal besteht das Gewebe ihrer fotografischen Bilder aus rot gefärbten Plastikobjekten, mal scheint die Künstlerin nicht einmal vor der Verwendung tierischer Innereien sowie Knorpeln und Knochen zurückzuschrecken. So bizarr und befremdlich die Objekte und abstrakten Kompositionen auf den Fotoarbeiten der 1963 in Berlin geborenen Christina Paetsch zuweilen auch sein mögen, so knüpfen sie doch an Traditionen an. Es war im Jahr 1912 als Pablo Picasso und George Braque damit begonnen hatten Kunst sprichwörtlich aus dem Abfalleimer zu erschaffen. Ein Konzept, das bald Nachahmer fand. Die Dada-Bewegung nutzte es für ihre berühmten objets trouvé, und selbst die Fotografie fand Gefallen an einer bis dato unbekannten Ästhetisierung von Alltagsfunden. Die aparatelosen Fotoexperimente etwa, die in den 20er und 30er Jahren von Künstlern wie Christian Schad oder Lázló Moholy-Nagy vorangetrieben worden sind, sie beruhen auf der Idee, aus trivialsten Objekten ein, wie Roland Barthes es formuliert hat, “verrücktes, ein vom Wirklichen abgeriebenes Bild” zu erschaffen. All diese Vorläufer schwingen mit, betrachtet man die unwirklichen Gebilde, die auf den komplexen Bildkompositionen von Christina Paetsch zu sehen sind. Doch wo die Avantgarde für ihre abstrakten Schönheiten zumeist den Zufall Regie führen ließ, wo sie die Vernunft ausschaltete zugunsten von Experiment und Spielerei, da sind Paetschs Arrangements das Ergebnis gezielter Formung und Figuration. Standen auf den frühen Werkgruppen der seit fast zwanzig Jahren mit dem Medium Fotografie arbeitenden Künstlerin zunächst jene eigentümlich hochroten Objekte im Zentrum, die entgegen aller Abstraktion und wider ihres eigentlich poetischen Zaubers an Organe oder blutige Innereien denken ließen, so eröffnen jüngere Arbeiten neue Assoziationsfelder. Bildserien, wie der im letzten Jahr entstandene Zyklus “Verstecken und Entdecken” oder die “Blumenbilder” aus dem Jahr 2004 erinnern in ihren ikonografischen Bauten an klassische Stilleben oder Blumenstücke. Bewußt werden auf den immer vielschichtiger werdenden und zunehmend digital erstellten Fotografien Formvorlagen aus der Malerei zitiert, um diese am Ende doch in Neues und bis dato Ungesehenes zu transformieren. So sind Paetschs Bilder letztlich immer auf der Kippe. Sie schwanken zwischen Bekanntem und Unbekanntem, zwischen Schönem und Ekel, zwischen Zierat und Banalität. Sie stellen das Sehen auf die Probe und eröffnen so visuelle Experimentierfelder.

Der Text ist im Katalog zum Gabriele Münter Preis 2010 erschienen