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Das traditionelle "Geschäft" der Fotografie besteht in der Abbildung von Motiven und Wirklichkeiten, die dem Auge bereits vertraut sind. Christina Paetsch, 1963 in Berlin geboren und Meisterschülerin der Hochschule der Künste in Berlin, betreibt eine ganz andere Fotografie – die einer ausgebildeten Malerin: Die Kamera wird Ihr zum Pinsel, mit dem Sie Bilder erzeugt, die zwischen allen Stühlen sitzen. Diese Bilder bilden ab, und doch ist das Abgebildete unwirklich: Naturmaterialien und Plastikteile, vor allem aber Knorpel, Knochen und Fleisch verbindet Paetsch zu oft blutigroten Szenerien. Was ist es was das Auge sieht? Die isolierte Präsentation der extrem farbigen "Objekte" vor weißem Hintergrund liefert keine eindeutigen Anhaltspunkte, und so gehen die Gedanken in die verschiedensten Richtungen. Die klinische Umgebung vor weißem Hintergrund erinnert an anatomische Fotostudien für die medizinische Ausbildung. Doch von welchen bizarren Lebewesen sollten Sie stammen, diese offenbar mehrfachbelichteten Eingeweide-Collagen, die sich dem Betrachter in suggestiver Räumlichkeit entgegendrängen? In diesen Fotografien liegt eine ständige Ambivalenz: Die organischen Gebilde vor weißem Hintergrund zu fotografieren, für extreme Stilisierung mit extremer Körperlichkeit zusammen. Das nackte wulstige gewinnt die Züge eines Designerstücks und wird zugleich durch den starken Farbkontrast (rot-weiß) in seiner puren Fleischlichkeit nur noch um so stärker hervorgehoben. Wo in der persönlichen Sichtweise das Designerstück dominiert, wird man die Fotografie als schön empfinden. Kippt es über die Fleischlichkeit, stellen sich Ekelgefühle ein. Doch ist die Abscheu überhaupt berechtigt? Welches der fotografierten "Objekte" stammt nun wirklich von der Metzgerbank? Handelt es sich bei einer lungenflügelartigen Innerei womöglich in Wahrheit nur um ein tiefrot angemaltes Popkornstück? Schon lange ist das Zeitalter der Fotografie des mikroskopischen Blicks vorbei. Damals widmete sich Fotografie winzigen, ins Gigantische vergrößerten Details. Der Fotoapparat war ein Entdecker, der das menschliche Verhältnis zur Wirklichkeit allein durch die Verschiebung der Relationen veränderte. Heute ist die Aufgabe der künstlerischen Fotografie eine andere. Es geht nicht mehr in erster Linie darum, mit fotografischen Mitteln den Zugang zur unmittelbaren Wirklichkeit zu verändern, sondern vielmehr ein Bewusstsein zu hinterfragen, das auf fotografische Bilderfluten fixiert ist. Der Mainstream der Bilderflut, die uns umgibt, begnügt sich wie seit jeher mit simpler Abbildung des Sichtbaren. Auf einer zweiten Schiene wiederum, die der Werbefotografie, wird das Sichtbare stark ästhetisiert. Hand in Hand damit geht, als eine dritte Form die gezielt Manipulation von Bildern – Fälschungen die als Fälschungen nicht mehr zu erkennen sind und für echt gehalten werden. Indem sie Irritation erzeugen, hinterfragen die Fotoarbeiten von Christina Paetsch jede dieser Ebenen: Die Abbildung des Sichtbaren und der Manipulation, indem ihre Objekte uns vertraut erscheinen und sich doch sofort die Frage stellt, ob wir Ihrem Wirklichkeitscharakter trauen dürfen. Dem zeitgenössischem Zug der Ästhetisierung, indem sie mit dem Ekel verbunden wird. Ist das geleistet, wird in einem letzten Schritt die fotografische Ebene gänzlich überschritten, denn Christina Paetsch bindet die Fotografie an das Zeitalter der Malerei zurück – und zwar an ein klassisches Arbeitsfeld der Malerei: dem Studium des Faltenwurfs. Die organischen Wülste bilden eine Analogie zur Tradition zur Gewanddarstellung auf altmeisterlichen und noch älteren Gemälden. Vielleicht liegt darin ja ein Hinweis verborgen, dass die Malerei auch uns Heutigen noch etwas zu bieten hat, nämlich ihre Fähigkeit zum laborierenden Umgang zwischen Bild und Gegenstand, der zwischen beidem eine Beziehung herstellt; letztlich die Qualitäten der Langsamkeit der Malerei, welche der geisterhaft schnellen Bilderzeugung der linse entgegensteht und dadurch den Zusammenhang zwischen Abbild und Motiv zunehmend entkoppelt.

Phantome der Fleischlichkeit