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Christina Paetsch stellt Ansprüche. Man kann ihre Bilder, Objektarrangements, Installationen und Videos nicht mal schnell im Vorübergehen erledigen. Inszeniert als intensives Daseinsgefühl durch skurrile Narrative, Zueinanderstellungen, Mischungen und Wandlungen, geht es dieser Künstlerin um Strategien der Bearbeitung und des Umwertens. „Finden, Bauen, Umarbeiten“ lautet ihre Devise. Der Ausstellungstitel „GENAU SO UND ANDERS“ markiert einen Bezug zur digitalen Kultur, in deren Rahmen die Künstlerin referentielle Verfahren wie Remix, Remake, Sampling und Zitat mit ausgesprochener Heiterkeit zelebriert.
Christina Paetsch hat früher viel gemalt und mit Hingabe gekocht. Die Zubereitung von Speisen gehört immer noch zu ihren Lieblingsbeschäftigungen, aber seit 1992 arbeitet sie, innerästhetisch betrachtet, vorwiegend mit fotografischen Mitteln. Am Rechner collagiert, kennzeichnet die als C-Prints gedruckten Werke ein zauberhaft popistisch entrücktes Eigenidiom, das Staunen und Überraschungen provoziert, weil es mit dem Unvorhergesehenen und Ungewohnten spielt. Als Höhepunkte ihres gegenwärtigen Schaffens kristallisieren sich auf dieser Ebene die smooth harmonierenden Sehnsuchtsballaden „Puna Bay“ und „Roter Rizinus“ (beide von 2018) heraus, konterkariert von dem aus diversen Kühlschränken bestehenden „Kühlturm“, dessen Bild- und Objektarsenal ein aktuelles Thema wie die allgemeine Lebensmittelverschwendung in den Ländern mit starker Wirtschaftsleistung auf sarkastischer Ebene angeht.
Alles, was an Alltäglichem in Haus, Küche, Garten und Leben interessant ist – so ziemlich alles, was ihr als natürliche Ereignisform oder industrielles Produkt in die Hände gerät und sich in der Kombination mit Anderem atmosphärisch verdichten lässt, findet man bei dieser Künstlerin. Christina Paetsch transformiert Partikel, die sie aus eigenem Seherlebnis, Riechen, Fühlen, küchenmeisterlicher Forschung sowie von Projektionen auf Alltagsgegenstände, Blumen, Blüten, Gemüse und Fleisch her kennt. Sie ignoriert dabei die gebahnten Wege. Authentizität und Künstlichkeit sind bei ihr miteinander wirkungsästhetisch unaufhebbar verstrickt.  Am liebsten schlägt sie sich durch jenes geheimnisvolle Dickicht der Bildelemente, das die Assoziationsleistung der Rezipienten am deutlichsten auslöst. Mit einer Animation des flüchtigen Blicks gibt sie sich nicht zufrieden. Ihr konzeptuelles Ziel ist die Verbindung eines Maximums an Bildforschung und Emotionsforschung, eine erfühlte Übereinstimmung von Welt und Ich in digital konstruierten Bildern.
Dass Sie viel für Merkwürdiges übrig hat, steht nicht im Widerspruch zu ihrer genauen Beobachtungsgabe. Ständig untersucht, prüft und ordnet sie Strukturen und das kompositorische Miteinander von Farben und Formen. Über ihre Materiallage in der digitalen Wildbahn bestimmt Christina Paetsch eigenverantwortlich. Ihre Objektfotos macht sie selbst.
Ihre Bilder führen oftmals geradewegs in einen saccharinsüß-phantastisch bis unerklärlich absurden Sog. Ein Faible für Kitsch, dem jede Verfremdung recht ist, und groteske Videos wie „Kalorienbombe“ (2015) und „Schnitzel-Dart“ (2013) stimulieren eine übergeschnappt barocke Dimension, die rundherum positive Vibes versprüht, sogar dort, wo Stilllebenkonstellationen in Richtung Vergänglichkeit und Tod driften.
In ihrer permanenten Arbeit an der Bildsynthese durch Addition stimmt Christina Paetsch eine Hymne auf das Sich-Verbrauchen in Schönheit an. Sie stellt anschaulich unter Beweis, dass sie eine Künstlerin mit Sensibilität ist, die das Softe neben dem Rohen und Verunsichernden traumwandlerisch zu arrangieren weiß. Sie definiert die Dingstellungen so organisch, dass man den Eindruck hat, sie hätten in dieser Konstellation immer schon an ihrem angestammten Platz gewurzelt.

Christoph Tannert (Januar 2019)

Authentizität und Künstlichkeit